In unserer Interview-Reihe stellen wir Ihnen in jedem Newsletter ein Mitglied aus dem Fraunhofer-Geschäftsbereich Reinigung einmal näher vor. Diesmal stand uns Christoph Tammer vom Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV Rede und Antwort. Lesen Sie mehr über seinen Werdegang sowie seine persönliche Sichtweise zu den Zielen, Potenzialen und Wünschen für den Geschäftsbereich Reinigung bei Fraunhofer.
1. Wie bist Du zum Fraunhofer-Geschäftsbereich Reinigung gekommen?
Das Thema Reinigung bzw. Oberflächeninspektion begleitet mich schon seit über 10 Jahren in meiner Tätigkeit bei Fraunhofer. Der Einstieg lief damals über ein Forschungsprojekt zur Produktion von Lithium-Ionen-Zellen in Kooperation mit der TU München. Die Sauberkeit wurde damals als einer der entscheidenden Qualitätseinflüsse auf die Batteriezelle identifiziert. Die Suche nach geeigneten Lösungen zur Oberflächeninspektion offenbarte für mich ein großes weißes Feld mit Potenzial für intensive wissenschaftliche Betätigung. Während wir anfangs in – aus Sicht der Reinigungstechnik – sehr speziellen Nischen aktiv waren, gingen wir in den folgenden Jahren über die additive Fertigung und einen intensiven Austausch mit dem Fachverband industrielle Teilereinigung e.V. (FiT) – getriggert durch Anfragen und Bedarfe der Industrie –zusätzlich den Weg hin zu „klassischen Anwendungen“ im Bereich der Reinigungstechnik. Das große Feld der Reinigungstechnik ist in Summe derart vielschichtig und komplex, dass man trotz eines sehr starken Teams das Thema nie gesamthaft in der erforderlichen Tiefe adressieren kann und auch in verschiedenen Bereichen nicht das Rad neu erfinden möchte. Von sehr hoher Wichtigkeit ist daher die Vernetzung und Kooperation zur Verknüpfung von Kompetenzen. Mit dem Eintritt im Mai 2018 sind wir (gemeinsam mit dem IVV in Dresden) das jüngste Mitglied des Geschäftsbereichs Reinigung bei Fraunhofer.
2. Welches Ziel hast Du Dir für Deine Arbeit im Fraunhofer-Geschäftsbereich Reinigung gesetzt?
Mein Ziel ist der fachliche aber auch persönliche Austausch, die synergetische Ergänzung von Kompetenzen aber auch Kapazitäten, um die Kunden der Fraunhofer Gesellschaft bestmöglich beraten und auch tatkräftig unterstützen zu können!
3. Was möchtest Du den Kunden des Fraunhofer-Geschäftsbereiches Reinigung mit auf den Weg geben?
Die Kompetenzen der einzelnen Institute gehen meist deutlich über das hinaus, was im Rahmen von bspw. öffentlichen Forschungsprojekten erarbeitet werden kann und daher auch veröffentlicht werden darf. Eine Transparenz, wer in der Fraunhofer-Welt genau an welchen Themen der Reinigungstechnik arbeitet oder auch nur welche Anlagentechnik jeweils an den Standorten verfügbar ist, ist für Außenstehende nur schwer erkennbar. Man macht daher nie einen Fehler, eine Anfrage über unsere Webseite oder die Geschäftsstelle zu platzieren, weil man sich so sicher sein kann, alle zu erreichen, die sich in der Fraunhofer-Gesellschaft mit der Reinigungstechnik auseinandersetzen. Das habe ich übrigens auch schon mehrfach selbst gemacht, wenn es darum ging für Kunden Expertise hinzuzuziehen, die außerhalb unserer Betätigungsfelder liegt.
4. Was bietet das Fraunhofer IGCV in der Reinigungstechnik an?
Einiges! In meiner Gruppe Qualität und technische Sauberkeit sind die Anwendungsschwerpunkte sicherlich aktuell die Batterieproduktion, die Additive Fertigung („3D-Druck“), die Refabrikation von Altkomponenten und das Thema Prozessverständnis auf Basis von wissensbasierten Systemen und KI. Über zahlreiche Projekte haben wir uns neben entsprechenden Kompetenzen auch ein beachtliches Portfolio an Anlagentechnik und Laborausstattung aufgebaut, um uns den Themen auch praktisch nähern zu können. Dazu zählen auch Anlagen im Produktionsmaßstab. Sehr häufig führen wir für Kunden aus der Industrie Machbarkeitsstudien durch, wenn es beispielsweise darum geht, eine ideale Reinigungsprozesskette für ein neues Produkt zu identifizieren.
Erst vor einem Jahr haben wir einen Neubau im Augsburger Innovationspark bezogen. Uns stehen dort für die Reinigungstechnik rund 200 m² Technikumsfläche (bspw. für Druckwechselwaschen, Ultraschall, Niederdruckplasma, Strahlreinigung (Feststoffe und CO2-Schnee), Bürsten und Absaugung und verschiedene Pinselwaschtische) sowie über 100 m² Labor für bspw. Sauberkeitsanalysen und -analytik (VDA19, REM/EDX, Spektroskopie, Laserbeugung, Thermografie, HPLC und die ganze Palette der Fluoreszenzmesstechnik) zur Verfügung. Wie es jedoch oft beim Bau aus öffentlicher Hand der Fall ist, platzt das Gebäude nach baulichen Verzögerungen bereits nach dem Einzug aus allen Nähten, sodass wir bereits an die Erschließung von Erweiterungsflächen für die Qualität und technische Sauberkeit denken müssen. Darüber hinaus haben wir natürlich auch Zugriff auf weiteres Analyseequipment aus anderen Wissenschaftsbereichen und Abteilungen. Ein Labor und Technikum mit vielschichtiger Anlagentechnik ist für uns essenziell, um erarbeitete Thesen validieren und Ideen auch einfach mal in der Praxis ausprobieren zu können!
5. Was macht Dich zu einem kompetenten Partner in der Reinigungstechnik?
Erfahrung und Praxisaffinität, aber auch Neugier, Tatendrang und die kritische Auseinandersetzung mit dem Stand der Technik. Ich hinterfrage auch gerne vermeintliche, erfahrungsbasiert festgelegte Grundlagen kritisch, da ich im Bereich der Reinigungstechnik bereits auf viel „als Gesetzmäßigkeit etabliertes Bauchgefühl“ gestoßen bin, welches sich bei genauerer Betrachtung schon oft als maximal teilweise zutreffend herausgestellt hat. Obwohl wir häufig beratend tätig sind, möchte ich nicht ausschließlich „Berater“ sein. Ich packe auch gerne mal mit an und gehe an den Prozess um eigene Erfahrungen zu sammeln!
Für innovative Ideen und Ansätze habe ich jederzeit ein offenes Ohr und finde Mittel und Wege um derartige Themen zur Umsetzung zu bringen.
6. Was wünschst Du Dir für die Branche?
Durchhaltevermögen und Innovation! Wir leben derzeit in eigenartigen Zeiten, die, neben dem für viele Anwender und Anlagenhersteller ohnehin schon herausfordernden Wandel in der Automobilbranche, vor allem Unsicherheit mit sich bringen. Zwar wird die Reinigungstechnik weiterhin mit reichlich Aufgaben und Fragestellungen versorgt werden, jedoch stellt sich die Frage, wie lange erforderliche Investitionen auf Seite der Kunden – bedingt durch Unsicherheitsfaktoren – auf die lange Bank geschoben werden. Vermutlich werden am Ende besonders die innovativen Anlagenhersteller, welche sich und Ihre Anlagentechnik umfassend für neue Anwendungen qualifizieren, mit einer starken Auftragslage aus der Krise hervorgehen.
7. Was braucht es dringend, damit auf dem Gebiet der Reinigungstechnik der nächste große Schritt gegangen werden kann?
Das klingt jetzt vielleicht nach der alten Leier in der Branche, aber ich sehe hier nach wie vor als Handlungsbedarf die Wahrnehmung der Wichtigkeit des Themas „technische Sauberkeit“ zu steigern. Natürlich ist hier in den letzten 10 Jahren viel passiert. Wenn aber eine Anfrage in meinem Postfach landet, dass im Rahmen der Planung einer neuen Produktlinie in der Endphase zu Tage trat, dass vielleicht doch ein Reinigungsprozess notwendig sein könnte und für diesen jetzt noch ein Platz von 1-2 m² zur Verfügung steht, dann gibt es noch Bedarf für Aufklärungsarbeit. Nur mit einer gesteigerten Wahrnehmung geht auch die Bereitschaft einher, für eine innovative und leistungsfähige Anlage das notwendige Geld in die Hand zu nehmen und damit diese wichtige Innovation langfristig zu fördern.